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Mehlem

St. Hildegard Kirche



Lage und Bauart
Oder: Poesie der Stille und Zurückgezogenheit

Verborgen in einer parkähnlichen Waldung, auf einem versteckten malerischen Rundpodest ist die, Anfang der sechziger Jahre errichte Kirche St. Hildegard. Deren verhältnismäßig bescheidene Höhenmasse, eine lediglich 16 Meter steile Turmspitze untermauern den baulichen Einklang mit vorgegebenen Ortstrukturen.
Die poetische Adresse „Im Meisengarten“ passt zu einem Sakralbau, dessen idyllische Rheinnähe per se ein Stück Rheinromantik projiziert. Ländlich, heimatbezogen und letztendlich volkstümlich sind überdies jene Werkstoffe, die der renommierte Kirchenbaumeister Emil Steffann gezielt einsetzt. An romantisches Gedankengut knüpft der 1899 in Bielefeld geborene, 1968 in Bad Godesberg tragisch ums Leben gekommene Stararchitekt  gleichermaßen durch gewiefte Rückgriffe auf die römische Antike an.


Alleinstellungsmerkmale von St. Hildegard

Die imposante Architektur der, in Rom angesiedelten Basilika St. Stefano bildet die Inspirationsquelle für das achteckige, auf einer Rundplatte (Radius: 32 Meter) fundamentierte Gotteshaus. „Brüderliche Form“ nennt der 1964 mit dem Großen Kunstpreis NRW ausgezeichnete Kirchenkenner seinen Grundriss. Dahinter versteckt sich der, dem internationalen Ortflair entsprechende Kerngedanke einer interkonfessionellen, sakralen Begegnungsstätte. Drei, hinter dem Altar platzierte Nischen sind sinnbildlich reserviert für römisch katholische, evangelische und koptische Christen.


Bogenschlag zwischen Tradition und Gegenwart

Mauerwerk aus unverputzter Grauwacke, mit Schiefer belegte Satteldächer, Dachträger aus Fichtenholz und insgesamt naturbelassene, nicht polierte sowie heimatnahe Werkmaterialien prägen die, mit dem einstigen, nachbarlichen Pfarrfachwerkhaus korrespondierende Außenansicht von St. Hildegard. Die Dachspitze wird durch eine Spitzfindigkeit des Bauherrn gekrönt. Die hier prangende, güldene Frucht ist ein symbolischer Zwitter, in dem sich der traditionelle romanische Pinienzapfen mit der Form einer Traubedolde paart. Fruchtbarkeitssymbol (Pinie) und biblisches Sinnbild für Lebenserneuerung, Lebenskraft, Kirche und Jenseits finden hier zu einer originären Synthese. Geringfügig abgerückt vom Kirchenkomplex ist der mit Kreuz ausgestattete Kirchenturm.


Das Kircheninnere: liturgische Strenge und harmonische Gesamtkomposition

Im Gegensatz zum eher dunklen Außenambiente erscheint der Innenraum wie eine lichte Offenbarung. Acht Rundbogenfenster des Obergaden umsäumen den rundhallenartigen, durch Arkadengänge strukturierten Innenraum. Von Steffann und Kollege Bienefeld entworfen sind in eher funktionaler, karger Ausführung Altar (Grauwacke) und der durch formale Noblesse bestimmte Taufstein.

 

Kleinode und Besonderheiten

Hinter dem Altar befindet sich, auf zwei Säulen positioniert eine farbig gehaltene Verkündigungsszene. Zwischen Verkündigungsengel und Mutter Gottesstatue schwebt ein Kruzifix. Blickpunkt ist ebenfalls ein, als Tabernakel dienender Seitenaltar. Hier treffen sich jugendstilartige Ornamentik mit byzantinischer Mosaikkunst.
Eine einzigartige Kostbarkeit befindet sich im Kircheingang: eine, auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts datierte, gleichwohl 1748 übermalte Ikone (Tempera auf Weichholz). Nach einem neuerlichen Gutachten des Bonner Diplomrestaurators Ivan Bentchev handelt es sich um eine, wahrscheinlich vom Ursprung her, griechische Ikone (Tempera auf Weichholz), welche die Madonna Virgo Lactans (stillende Gottesmutter) darstellt. Diese im Original nicht überlieferte Ikone verweist, so Bentchev, in ihrer Bildhaftigkeit auf den Typus der Passionsmadonna, der in der postbyzantinischen Zeit der römisch-katholischen Kirche nachzuweisen ist. Aufschlussreich, innerhalb der handwerklich niveaureichen Verbildlichung von Gottesmutter und Jesuskind ist der, in der rechten Oberecke präsente Erzengel Michael; dieser ist ausgestattet mit den traditionellen Passionsattributen: Kreuz, Lanze und Schwamm. Wie der engagierte Heimatforscher und Kircheninsider Guido Hemmer herausstellt, teilt der, durch ein Gitterwerk geschützte Kirchenschatz eine tiefgreifende Überlegung mit. „Die Ikone verbindet also die Kindheit des Gottessohnes mit dem Tod des Erlösers.“


Neuere Geschichte von St. Hildegard
Die Amtszeit von Pfarrer Dr. Wolfgang Picken

Um dem architektonisch einmaligen Gepräge des Kirchenraumes Rechnung zu tragen, veranlasste der seit November 2004 für die Gemeinde Bad Godesberg Rheinviertel zuständige Pfarrer Dr. Wolfgang Picken eine Reihe von überzeugenden Veränderungen.

Hier nur einige markante Beispiele:
Die starr und geradlinig auf den Altar zuführenden Kirchenbankreihen wurden, der Grundrundform entsprechend, in Hufeisenform um den Altar gruppiert. Befreit aus ihrer engen, altarnahen Nische wurde die Kirchenorgel, deren beachtlicher Sound nunmehr das gesamte Kirchenschiff erfüllt.
Nicht zuletzt mutierte St. Hildegard seit kurzem zur Klosterkirche jener indischen Klosterfrauen, die nunmehr das komplett modifizierte Pfarrhaus von anno dazumal mit lebendigem Geist erfüllen.
Das farbige Programm eines, von der Bürgerstiftung Rheinviertel organisierten, der Heiligen Hildegard von Bingen gewidmeten „Kulturherbst“ (2005) offenbart, dass die Kirche St. Hildegard ein überaus geeignetes Forum seriöser Künste ist.
   

Text: Christina zu Mecklenburg
Bonn, Herbst 2006

 




Bilder: © privat